Entgegen BVerfG und BGH: Sehbehinderte können Schriftsätze im Mietprozess in Form von Audiodateien verlangen

Artikel vom 04.01.2024

Der folgende Fall startet zwar im Mietrecht, ist jedoch für alle anderen Verfahren ebenso wichtig. Denn die hier Beklagte forderte eine Barrierefreiheit ein, die ihr das Amtsgericht (AG) zuerst verweigerte, deren Notwendigkeit das Landgericht München I (LG) dann jedoch nicht verneinen konnte. Spannend bleibt noch, wie sich das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und der Bundesgerichtshof (BGH) dazu äußern werden.

Der folgende Fall startet zwar im Mietrecht, ist jedoch für alle anderen Verfahren ebenso wichtig. Denn die hier Beklagte forderte eine Barrierefreiheit ein, die ihr das Amtsgericht (AG) zuerst verweigerte, deren Notwendigkeit das Landgericht München I (LG) dann jedoch nicht verneinen konnte. Spannend bleibt noch, wie sich das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und der Bundesgerichtshof (BGH) dazu äußern werden.

Eine Vermieterin hatte ihrer Mieterin gekündigt und sie dann verklagt. Die beklagte ältere Dame behauptete nun, sich in einem mit Blindheit vergleichbaren Zustand zu befinden – einem ärztlichen Attest zufolge sei sie „funktionell erblindet“ und daher in allen Bereichen des Alltags schwer in ihrer Selbständigkeit eingeschränkt. Ihr Zustand erfordere es, dass „die Augen die meiste Zeit des Tages sowie in der Nacht mit Uhrglasverband abgeklebt werden“. Da die Mieterin der Blindenschrift nicht mächtig war, beantragte sie mehrfach, ihr sämtliche Schriftsätze des gerichtlichen Verfahrens barrierefrei in Form einer Audiodatei zur Verfügung zu stellen. Gegen eine ablehnende Entscheidung des AG, das der Meinung war, ihr Anwalt können die Schriftsätze vorlesen, legte die Mieterin sofortige Beschwerde ein.

Laut LG konnte die Frau – trotz anwaltlicher Vertretung – die barrierefreie Übermittlung der verfahrensgegenständlichen Schriftsätze in Form von Audiodateien nach § 191a Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) i.V.m. § 4 Zugänglichmachungsverordnung verlangen. Danach kann eine blinde oder sehbehinderte Person verlangen, dass ihr Schriftsätze und andere Dokumente eines gerichtlichen Verfahrens barrierefrei zugänglich gemacht werden. Zwar war dem Gericht klar, dass es von der Rechtsprechung des BVerfG sowie des BGH abgewichen war, es begründete dies aber mit der aktuellen Fassung des § 191a GVG.

Hinweis: Da das LG von der bisherigen Rechtsprechung abgewichen ist, hat es die Rechtsbeschwerde zugelassen. Es bleibt abzuwarten, wie hierzu weiter entschieden wird.

Quelle: LG München I, Beschl. v. 12.09.2023 – 14 T 9699/23

zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 01/2024)

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