Der folgende Fall spielte sich zwar in Italien ab, doch da sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) damit befassen musste, ist dessen Urteil auch hierzulande von Interesse. Die Frage, die dem Gericht vorgelegt wurde, war, ob pflegende Eltern von behinderten Kindern vor Benachteiligungen im Job geschützt sind, auch wenn sie selbst keine Behinderung haben.
In Italien arbeitete eine Frau als Stationsaufsicht in einem Bahnhof. Ihr Sohn war schwerbehindert und brauchte regelmäßig Betreuung. Sie bat deshalb mehrmals darum, dauerhaft auf einen Arbeitsplatz mit festen Arbeitszeiten versetzt zu werden. Der Arbeitgeber erlaubte das zeitweise, lehnte aber eine dauerhafte Lösung ab. Die Frau ging vor Gericht, und das höchste italienische Gericht legte den Fall dem EuGH vor: Es wollte wissen, ob die europäische Gleichbehandlungsrichtlinie auch Eltern schützt, die wegen der Pflege eines behinderten Kindes benachteiligt werden.
Der EuGH entschied, dass das Diskriminierungsverbot wegen einer Behinderung auch dann gilt, wenn Eltern Nachteile erfahren, weil sie sich um ihr behindertes Kind kümmern. Schon 2008 hatte das Gericht klargestellt, dass eine sogenannte „Mitdiskriminierung“ unzulässig ist. Dieser Schutz umfasst also nicht nur Menschen mit Behinderung selbst, sondern auch Personen in ihrem Umfeld, wenn sie durch deren Situation betroffen sind. Der EuGH betonte zudem, dass Arbeitgeber verpflichtet sind, Arbeitsbedingungen so anzupassen, dass die Vereinbarkeit von Arbeit und Pflege möglich bleibt. Solche Anpassungen können etwa feste Arbeitszeiten oder flexible Modelle sein. Allerdings müssen sie für das Unternehmen wirtschaftlich zumutbar bleiben. Ob das im Einzelfall so ist, müssen die jeweiligen, nationalen Gerichte prüfen.
Hinweis: Dieses Urteil stärkte die Rechte von Eltern mit pflegebedürftigen Kindern deutlich. Arbeitgeber müssen Anträge auf Anpassung der Arbeitszeiten ernsthaft prüfen und dürfen sie nicht pauschal ablehnen. Wer das ignoriert, riskiert eine Diskriminierungsklage.
Quelle: EuGH, Urt. v. 11.09.2025 – C-38/24
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(aus: Ausgabe 11/2025)